Im Alltag gehen wir davon aus, dass alles, was sich beobachten und durch unterschiedliche Beobachtungspositionen verifizieren lässt, auch "wahr" ist. Journalisten erzählen von dieser Alltagswahrheit - und die Journalisten berufen sich ebenso wie allfällige Kontrollinstanzen auf mehrere verifizierbare Quellen.
Alles andere ist dann irgendwie "gelogen" ... wenn es als erfundene Geschichte bewusst in die Welt gesetzt ist.
Was aber unterscheidet "Lüge" und "Fiktion"? Da muss man zwingend auch die andere Seite des Publikums näher anschauen - das ja eingeweiht sein kann oder nicht, und das vertrauensvoll glauben kann oder skeptisch bleiben.
Von dem englischen Romanautor Samuel Taylor Coleridge (1772-1834) stammt das Konzept des "künstlerischen Glaubens" (engl.
poetic faith):
Wer sich auf Fiktionen (... die als solche unbedingt zu deklarieren sind bzw. kenntlich zu machen!) einlässt,
weiss schon, dass er den eigenen Alltag zugunsten eines ganz anders aufgebauten Parallel-Universums verlässt.
In dieser
anderen Welt nimmt man aber auch ganz wesentliche - und durchaus unterhaltsame - Komplizenrollen ein; man schauspielert quasi im Kopf. Und weil das eine aktive Rolle ist, spricht Coleridge von einer
willing suspension of disbelief for the moment.
Das heisst, es geht nicht im engeren Sinn um einen Ersatz der Dinge, an die man im Alltag glaubt, durch andere Dinge. Sondern es geht um eine andere Form des Zweifels (=disbelief), der in diesem Fall
willentlich aufgegeben wird, und zwar für eine
bestimmte Zeitspanne.
Diese Komplizenschaft ist gar nicht möglich, wenn eine Geschichte ohne den deutlichen Akzent der Fiktionalität präsentiert wird. Und umgekehrt ist diese Komplizenschaft fatal und weitreichend, wenn Menschen beschliessen, irgendwelchen Scharlatenen blind zu glauben. Wie es etwa bei den Gefolgschaften von Verschwörungstheorien der Fall ist.
Sorry: Bisschen länger geraten